Wertschätzende Interpretation
Überblick
Grundlage dieser Interpretation bildet die Annahme, daß die Himmelsscheibe
von Nebra nicht in verschiedenen Phasen hergestellt wurde, sondern auf der Grundlage
eines einzigen Planes entstand. Dies belegt ein geometrisches Beziehungsgeflecht,
das alle Elemente der Scheibe mit einbezieht. Wodurch diese geometrischen Bezüge
definiert werden, und wodurch sich deren Vorsätzlichkeit offenbart, wird
daher zunächst vorgestellt. Weiterhin gibt die Mutmaßung, daß
auf der Himmelsscheibe außer den Plejaden auch noch die Hyaden dargestellt
sind, die Denkrichtung zur Interpretation des Beziehungsgeflechts vor.
Unter dieser Denkrichtung, zusammen mit dem Mut, den Herstellern der Scheibe
Intelligenz zuzutrauen, lassen sich schließlich alle Bildelemente der Scheibe
in einen einzigen schlüssigen Zusammenhang interpretieren.
Unsichtbare Objektbeziehungen
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Bild 1: Der untere Bogen "zeigt"
auf den Innenkreis der Sichel. |
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Der Außenkreis des unteren Bogens hat den gleichen
Durchmesser wie der Innenkreis der Sichel.
Die Verbindungslinie zwischen den Mittelpunkten dieser beiden gleich großen
Kreise bildet mit der Verbindungslinie zwischen den Enden des unteren Bogens einen
rechten Winkel.
Die Orientierung des unteren Bogens ist also dergestalt, daß er gewissermaßen
auf den Innenkreis der Sichel "zeigt". Wie beim Blick durch die Kimme
eines Gewehrlaufs kann man mit Hilfe des unteren Bogens jenes "Objekt"
anpeilen, das durch den Innenkreis der Sichel gebildet wird.
Die erhebliche Übereinstimmung in Größe und Lage dieser beiden
Objekte ist meiner Meinung nach mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
vorsätzlich zustande gekommen. Offenbar hat der Hersteller der Scheibe
nicht nur die einzelnen Objekte der Scheibe mit größter Präzision
(exakte Zirkel) ausgearbeitet, sondern auch ihre verhältnismäßige
Größe, sowie ihre genaue Lage zueinander genauestens berücksichtigt.
Es sollte sich daher lohnen, genauer hinzusehen, und auch die übrigen Objekte
der Himmelsscheibe von Nebra auf solche oder ähnliche Beziehungen hin zu
untersuchen.
Die linearen Bogenbegrenzungen
Die drei Bögen auf der Himmelsscheibe von Nebra werden
jeweils an ihren beiden Enden durch deutlich lineare Abschlüsse
begrenzt. Diese linearen Begrenzungen weisen alle deutlich in eine einzige Richtung.
Die einzige Ausnahme bildet der obere Abschluß des rechten Bogens (oben/rechts
gemäß der üblichen Darstellung), der in drei linearen Begrenzungen
abschließt.
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Bild 2: Die linearen Begrenzungen der Bögenabschlüsse.
Obere Reihe: im Original, ohne Linien; untere Reihe: dieselben Ausschnitte mit
den in Bild 3 eingezeichneten Linien.
Spalten: a) Linker Bogen, obere und b) untere Begrenzung; c)
Unterer Bogen ("Schiff"), linke und d) rechte Begrenzung; e) Rechter
Bogen, untere und f-h) obere Begrenzung. Links, rechts, oben, unten bezüglich
der Darstellung in Bild 1. Die Begrenzungen weisen deutlich in eine
Richtung, bis auf das obere Ende des rechten Goldbogens, das drei
Richtungen definiert (dazu unten mehr).
Hinweis: Die Vorlage für sämtliche
der hier gezeigten Bildausschnitte der Himmelsscheibe von Nebra ist http://www.archlsa.de/himmel/bilder/bildmaterial/scheibe_copy.jpg,
sofern nicht anders bezeichnet. Das Copyright dieser Vorlage liegt beim Landesmuseum
für Vorgeschichte, Halle.
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Diese linearen Begrenzungen stehen mit den übrigen Objekten der Scheibe
in einer deutlichen Beziehung. Alle acht Bogenbegrenzungen "zeigen"
(sechsmal direkt, zweimal indirekt) entweder auf den Mittelpunkt des Vollkreises,
oder auf den Mittelpunkt des Umkreises des unteren Bogens.
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Bild 3: Das geometrische Kern-Beziehungsgeflecht
der Himmelsscheibe von Nebra. Diese Linien werden von den End-Begrenzungen der
Bögen definiert (vergl. Bild 2).
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Einwand:
Diese Begrenzungen der Bogenenden sind nur einige Millimeter bis knapp über
einen Zentimeter lang. Sie haben somit durchaus ein gewisses "Spiel".
Lineare Verlängerungen könnte man somit auch geringfügig anders
legen, so daß etwa der Mittelpunkt des Vollkreises gar nicht getroffen würde.
Antwort:
Die Markierungen zeigen alle sehr deutlich in eine bestimmte Richtung,
und die Toleranz der überhaupt in Frage kommenden Richtungen
liegt meines Erachtens bei ca. 1 Grad, gewiß aber unter 3
Grad.
Würde eine jede der linearen Begrenzungen woandershin weisen (genauer:
wäre keine Systematik zu erkennen), so wäre der Einwand berechtigt.
Doch es weisen mit einer Toleranz von unter 3 Grad gleich fünf (!) Markierungen
auf den Mittelpunkt des Vollkreises, und drei auf den Mittelpunkt des Außenkreises
des unteren Bogens. Aufgrund dieser Systematik bestätigen sich die
Richtungen der verschiedenen Begrenzungen gegenseitig in ihrer Bestimmtheit.
Und nicht die unvermeidliche Toleranz verwundert, sondern vielmehr die Präzision,
mit der die verschiedenen Markierungen ausgeführt sind. Der Hersteller der
Scheibe hat offenbar mit einer Genauigkeit im Zehntel-Millimeter-Bereich
gearbeitet.
Einwand:
Nun gut. Doch woher wollen wir wissen, daß diese Markierungen
etwas zu bedeuten haben? Könnte es zum Beispiel nicht sein, daß der
Künstler sich nur von seiner ästhetischen Empfindung leiten ließ,
und somit nur scheinbar eine Systematik zugrunde liegt? Wir würden ihm dann
ein ursprünglich gar nicht vorhandenes systematisches Vorgehen fälschlich
unterstellen!
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Bild 4: Die Linien c und d. Ästhetik
oder Information? |
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Antwort:
Das könnte man wohl vermuten, doch die Bogen-Begrenzungen folgen keinem einheitlichen
ästhetischen Prinzip, nicht mal ungefähr.
So weisen die beiden Begrenzungen des linken Horizontbogens eine Symmetrie
auf: sie weisen beide in den Mittelpunkt des Vollkreises. Die Begrenzungen des
unteren, strukturierten Bogens sind hingegen nicht symmetrisch angebracht (siehe
Bild 4): sie zeigen einerseits auf den eigenen Mittelpunkt, und andererseits auf
den Mittelpunkt des Vollkreises.
Die obere Begrenzung des rechten Goldbogens (siehe Bild 5) schließlich
stellt mit ihrer Mehrfachmarkierung einen deutlichen Bruch mit jeglicher Ästhetik
dar:
Die nordöstliche Mehrfachmarkierung
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Bild 5: Die Linien f und g werden beide
auf direkte Weise definiert. Die Linie h, die in den Mittelpunkt des Vollkreises
zeigt, wird hingegen indirekt, durch die "ins Leere" weisende Begrenzungslinie
h' definiert. |
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Während nämlich alle anderen Bogen-Enden nur mit einer einzigen
linearen Begrenzung versehen sind, sind dort gleich drei vorhanden. Von diesen
drei Begrenzungen zeigt nur eine direkt in einen Mittelpunkt, nämlich die
Begrenzungslinie f, die in den Mittelpunkt des Außenkreises
des unteren Bogens weist. Die Begrenzungslinie g weicht zwar
vom Prinzip aller übrigen Begrenzungen ("zeige auf einen Mittelpunkt")
ab, bildet aber am Vollkreis und am nachfolgenden Stern je eine Tangente.
Die Begrenzungslinie h' weist gewissermaßen "'ins
Leere", jedenfalls wird durch diese sichtbare, lineare Begrenzung kein anderer
markanter Punkt getroffen oder berührt. Doch zusammen mit der Begrenzungslinie
f bildet sich eine Ecke (siehe Bild 5 rechts). Und über diese Ecke ist die
Sekante h definiert, die in den Mittelpunkt des Vollkreises zeigt.
Das Raffinement der Komposition
Man mache sich insbesondere folgende Raffinesse klar: Der Hersteller der Scheibe
hätte die in Bild 5 bezeichnete Ecke auch ohne die Begrenzungslinie h' markieren
können, indem er etwa den Goldbogen im oberen Bereich schmaler, oder bogenförmig
auslaufend, gestaltet hätte. Doch in einem solchen Fall könnte der Betrachter
annehmen, daß die Position der Ecke zufällig sei, und die Sekante h
somit nur zufällig in den Mittelpunkt des Vollkreises weist bzw. bedeutungslos
sein könnte.
Erst dadurch, daß hier eine "ins Leere" weisende Begrenzung
h' auftritt, die gegen das allgemeine Prinzip ("zeige auf einen Mittelpunkt")
aller übrigen Bogen-Begrenzungen verstößt, gewinnt die Sekante
h an Bedeutung. Sie ist gewissermaßen der Sinn der Begrenzung h': Durch
die Sekante h weist die Begrenzung h' nämlich indirekt in den Mittelpunkt
des Vollkreises, und bleibt somit "über Eck" dem logischen Prinzip
treu. Wir können somit berechtigterweise mutmaßen,
daß die Sekantenlinie h erstens bedeutsam ist, und zweitens, daß der
Hersteller der Scheibe auch wollte, daß ein verständiger Betrachter
dies erkennt.
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Bild 6: Die Linie g weist über die
analoge Tangentenbildung (siehe Pfeile) der Linie g' in den Mittelpunkt des Außenkreises
des unteren Bogens. Zufall? |
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Auf ähnliche Weise - und dennoch ganz anders - zeigt
übrigens auch die Begrenzungslinie g indirekt auf einen Mittelpunkt, nämlich
vermittelt über die in Bild 6 dargestellte Linie g', die
in den Mittelpunkt des Umkreises des unteren Bogens zeigt. Die Linie g' wird durch
keine Bogenbegrenzung definiert, sondern man kann sie durch doppelte Tangentenbildung
an Stern und Vollkreis (vergl. Bild 6) analog zur Linie g bilden. Sie könnte
zufällig sein. In Anbetracht des Gesamteindrucks wage ich aber die Vermutung,
daß die Tangente g' unter anderem der logischen Bestätigung des Informationsgehalts
der Begrenzungslinie g dient, ähnlich wie bei den Linien h' und h argumentiert.
Unter den Begrenzungen der Bögen sind somit mehrere Ausnahmen - Asymmetrie
(vergl. Bild 4), Mehrfachmarkierung, Sekante, Tangente - von einer ansonsten offensichtlichen
Regel vorhanden. Wären solche Ausnahmen nicht vorhanden, so könnte man
mit Recht vermuten, daß in dieser Systematik nur ein ästhetischer Sinn
verborgen ist. Dadurch daß man aber - offensichtlich vorsätzlich -
von der Regel gleich mehrfach und auf unterschiedliche Weise abgewichen ist, um
sie jeweils auf einer höheren Ebene dennoch einzuhalten, dadurch wird diese
Formation zur offenkundigen Information.
"Ausnahmen bestätigen die Regel" - und geben ihr einen vernünftigen
Sinn. (Welcher Sinn, und welche Information hier enthalten ist, ist wiederum eine
andere Frage).
Die Position der Sichel
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Bild 7: Die Linien e und i
berühren beide die untere Spitze der Sichel, sowie je drei weitere, markante
Punkte. |
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Die Linie e, die durch die untere Begrenzung des rechten Bogens
definiert wird (vergl. Bild 3e und Bild 7), zeigt nicht nur in den Mittelpunkt
des Vollkreises, sondern berührt auch die untere Spitze der Sichel, und endet
auf der anderen Seite der Scheibe in einem Randloch. Sie geht also insgesamt durch
vier (!) markante Punkte.
Für eine weitere Linie i (die nicht durch Bogenbegrenzung
definiert wird) gilt das übrigens auch. Diese Linie verbindet das rechte,
äußere Ende des unteren Bogens mit der unteren Spitze der Sichel, bildet
am Vollkreis eine Tangente, und endet in der stärksten Deformation des Scheibenrands
oben links.
Wenn wir uns diese Deformation näher ansehen, dann
erkennen wir, daß diese sogar in Richtung der Linie i ausgerichtet ist (siehe
Bild 8 links). Diese Kerbe sieht nicht so aus, als könnte sie von dem verwendeten
Zimmermannshammer oder der vermuteten Hacke durch den Raubgräber hervorgerufen
sein.
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Bild 8: Links: Die Linie i
endet in einer tiefen Kerbe am linken oberen Rand der Scheibe.
Rechts: Die Linie j (die bis auf 2 Grad ungefähre
Blickrichtung zur Sichel) endet ebenfals in einer Randdeformation.
[Hinweis: Das Copyright-Zeichen im rechten Bild entstammt der
Vorlage dieser Bildausschnitte. Vergl. die Anmerkung zu Bild 3.] |
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Sie ist erstens zu tief, und zweitens scheint der innere Rand der Kerbe an
dieser Stelle stark korrodiert (was auf ein hohes Alter der Kerbe schließen
läßt), soweit ich das von den veröffentlichten Bildern her, sowie
im Museum vor der Scheibe stehend beurteilen kann.
Die Orientierung der Sichel
Eine weitere Linie j, die in etwa der Orientierung der Sichel
entspricht, endet ebenfalls in einer besonders markanten Randdeformation (siehe
Bild 8 rechts). Es handelt sich um eine Kerbe, deren Ränder zur Vorderseite
der Scheibe hin verbogen sind. Man erkennt das im Bild 8 (rechts) sehr deutlich
an dem langen, dreieckigen Schatten, der von diesen erhobenen
Rändern der Kerbe - durch die von links einfallende Beleuchtung - geworfen
wird. Blickt man waagerecht über die Scheibe, dann bilden diese Kerbenränder
eine Kimme, durch die man zum Beispiel Gestirne anpeilen könnte. Diese Kerbe/Kimme
könnte aber durchaus durch eine Hacke (kaum aber durch einen Zimmermannshammer)
in moderner Zeit verursacht worden sein.
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Bild 9: Die Orientierung der Sichel steht
in einem auffälligen Zusammenhang mit den Linien.
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Die Linie j - die Blickrichtung zur Sichel - geht durch
jene beiden Punkte, in denen die Tangenten g und i den Vollkreis berühren.
Darüber hinaus bildet die Blickrichtung zur Sichel mit der durch das einzige
dreieckige Randloch definierten Linie k einen rechten Winkel.
Das dreieckige Randloch
Sämtliche Randlöcher der Himmelsscheibe von Nebra sind in einer erstaunlich
exakten Ausführung kreisrund gestaltet, und wurden anscheinend durch geschlagen;
mit einer Ausnahme: das zweite Randloch oberhalb des rechten Goldbogens
(vergl. Bild 10). Dieses hat einerseits eine dreieckige Form, und andererseits
"tanzt es aus der Reihe", bzw. seine Positionierung entspricht nicht
den ansonsten recht regelmäßigen Abständen der übrigen Löcher.
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Bild 10: Links: Das exponierte, einzige
dreieckige Randloch auf der Himmelsscheibe von Nebra, rechts: (vergrößert)
die durch eine Dreiecksseite definierte Linie k. |
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Dieses dreieckige Loch definiert mit der rechten Dreiecksseite die Linie k.
Diese weist in ihrer Verlängerung - sofern man annimmt, daß sie rechtwinklig
zur Linie j steht - in jenes zentrale, untere Randloch, das den unteren Bogen
in zwei Hälften teilt (siehe Bild 9, vergl. auch Bild 1).
Daß dieser exponierten dreieckigen Durchlochung eine Bedeutung im Sinne
einer Liniendefinition zukommt, halte ich in Anbetracht des Gesamteindrucks der
Scheibe für gewiß. Ob die Linie k, wie hier eingezeichnet, tatsächlich
gemeint ist, oder ob aufgrund der hier - im Gegensatz zu den übrigen Linien
- doch erheblichen Toleranz von gut 5 Grad die Linie etwas anders liegt, kann
ich nicht mit letzter Bestimmtheit sagen. Die hier dargestellte Richtung halte
ich aber für einen nachvollziehbaren, guten Vorschlag.
[Die Richtung der oberen Dreiecksseite - sofern sie ebenfalls so gerade ist
- konnte ich mit meinen Mitteln leider nicht näher bestimmen. Sie scheint
eine Tangente am Vollkreis und dem angeblich "versetzten" Goldpunkt
zu sein.]
Das goldene Tor der
Ekliptik
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Bild 11: Das "Goldende Tor der Ekliptik"
auf der Himmelsscheibe von Nebra.
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Auf der Himmelsscheibe von Nebra sind wenigstens zwei Sternbilder zu erkennen,
und zwar die Plejaden, die von Meller/Schlosser bereits richtig identifiziert
worden sind, sowie die Hyaden (bzw. der "Kopf des Stiers"), erkennbar
am liegenden V innerhalb des unteren Goldbogens.
Es handelt sich um zwei Sternhaufen, die sich im (heutigen) Sternbild Stier
befinden, und die unter Astronomen als das "Goldene Tor der Ekliptik"
bekannt sind. Diese Bezeichnung hängt damit zusammen, daß
die Ekliptik zwischen diesen beiden Sternhaufen
hindurch verläuft. Die Ekliptik ist, salopp gesprochen, jene "feste"
Linie am Firmament, an der entlang sich alle Planeten bewegen - diese Linie verläuft
zwischen den Plejaden und Hyaden, so daß im Laufe der Zeit alle "Wandelsterne"
dieses "Tor" passieren.
Der Reigen der Plejaden
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Bild 12: Die Plejaden im Fernrohr. |
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Bei den Plejaden handelt es sich um einen
Sternhaufen (M45) im Sternbild Stier. Dieser Sternhaufen ist überaus auffällig,
und ist selbst bei schlechten Sichtverhältnissen - dann allerdings nur als
helles Wölkchen - leicht zu finden. Er ist seit prähistorischer Zeit
in fast allen Kulturen als Siebengestirn bekannt. Dies ist insofern merkwürdig,
als man - bei guten bis sehr guten Sichtverhältnissen - entweder 6, oder
9 (bzw. 10), selten 13 Sterne mit bloßen Augen zu unterscheiden vermag -
nicht aber 7! Diese Merkwürdigkeit wird gelegentlich mit der periodisch schwankenden
Helligkeit des Sterns Pleione erklärt, so daß also manchmal, statt
6, eben doch 7 Sterne zu sehen seien, eine Erklärung, die jedoch kaum befriedigt.
Meiner Ansicht nach sollte dort etwas zu sehen sein, das die weltweite Verbindung
dieses Sternhaufens mit der Zahl 7 unbedingt rechtfertigt. Dazu möchte
ich eine These vorschlagen, aufgrund folgenden Sachverhalts: In jenem Sternhaufen
sind nämlich 7 Sterne auf eine besondere Art und Weise angeordnet: Sechs
Sterne stehen dort kreisförmig um einen Siebenten herum, der - leicht versetzt
- in deren Mitte steht.
Welche Sterne man am Himmel als zusammengehörig betrachtet,
ist bekanntlich völlig beliebig. In heutiger Sichtweise gehören zwar
die Sterne Atlas und Pleione zu dem Sternhaufen der Plejaden, doch diese beiden
Sterne wurden - so mein Vorschlag - in prähistorischer Zeit als nicht
dazugehörig angesehen. Statt dessen hat man nur diesen inneren, kreisförmigen
Sternenkranz mit dem leicht versetzten, mittigen Stern als das Siebengestirn anerkannt.
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Bild 13: Der Reigen der Plejaden; die Eltern
schauen zu.
Die Plejadensterne sind hier bei einer bei einer sehr guten Sicht,
die eine Unterscheidung von 9 (bzw.
10 ) Sternen erlaubt, dargestellt. Celaeno und Asterope sind die beiden mit
der geringsten Helligkeit. |
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Sinnigerweise sind die betreffenden Sterne auf eben diese Weise mit Namen aus
der griechischen Mythologie benannt, obwohl der hier unterstellte Sinn offenbar
nicht (mehr) bekannt ist. Atlas und Pleione, die Eltern der Pleiaden, liegen außerhalb
des Reigen, während die sieben Töchter (Alcyone, Merope, Electra, Celaeno,
Taygeta, Asterope, mit Maia in der Mitte) den Reigen selbst bilden. Leider habe
ich nicht herausfinden können, wer diese Sterne wann so benannt hat (meinen
Dank an Franz Krojer), und möglicherweise läßt es sich auch nicht
mehr ermitteln (Hinweise willkommen!).
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Bild 14: Vorsatz oder Unfähigkeit? |
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Eben dieser Sachverhalt scheint mir auf der Himmelsscheibe
von Nebra - charakterlich - dargestellt zu sein: Sechs Sterne, die kreisförmig
um einen leicht nördlich (!) versetzten, mittigen Stern herum angeordnet
sind. Jedenfalls erscheint mir diese These glaubwürdiger als folgende Mutmaßung:
«Der Verfertiger der Scheibe benutzte offensichtlich einen
Zirkel, denn die Kreise oder Kreisbögen auf der Scheibe sind meist gut gelungen.
Umso auffälliger ist die Tatsache, daß das Sechseck der äußeren
Plejadensterne mit dem siebten in der Mitte von nur mäßiger Qualität
ist. Dabei wäre eine Symmetrie (aus heutiger Kenntnis) so einfach zu erzeugen:
Man schlage einen kleinen Kreis, trage durch fünffachen Zirkelschlag entlang
der Peripherie des Kreises das regelmäßige Sechseck ab und platziere
Stern Nr. 7 in der Kreismitte. Haben wir hier einen Hinweis darauf, daß
die Mathematik der frühen Bronzezeit noch nicht zur Konstrunktion des regelmäßigen
Sechsecks gelangt war?» (Schlosser, in: AiSA 1/02, S. 22)
(Anmerkung dazu: Abgesehen davon, daß sogar ein dreijähriges
Kind erkennt, daß sich der innere Punkt nicht genau in der Mitte befindet,
und es somit viel wahrscheinlicher ist, daß der siebente Punkt vorsätzlich
leicht versetzt angebracht wurde, genügte doch wohl die Anschauung einer
Bienenwabe, um - falls gewollt - ein halbwegs regelmäßiges Sechseck
zu konstruieren, vorausgesetzt natürlich, die Biologie der frühen Bronzezeit
war bereits bis zu den Bienen vorgedrungen... ;)
Der Kopf des Stiers
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Bild 15: Die Hyaden mit Aldebaran, dem "roten
Auge" des Stiers (übertrieben dargestellt). |
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Als zweites Sternbild sind auf der Himmelsscheibe von Nebra die Hyaden dargestellt.
Dieser Sternhaufen liegt ebenfalls im (heutigen) Sternbild Stier, genauer gesagt:
diese V-förmige Sternanordnung bildet (zusammen mit dem roten Riesen Aldebaran)
den Kopf des Stiers, wobei Aldebaran das "rote Auge" des Stiers bildet.
Aldebaran ist übrigens einer der hellsten Sterne am Firmament, und seine
rötliche Farbe ist deutlich zu erkennen.
Einwand:
Auf der Himmelsscheibe von Nebra sind insgesamt 30 (bzw. 32) Goldpunkte aufgetragen,
da nimmt es nicht wunder, wenn irgendeine Gruppe von nebeneinander liegenden Punkten
eine gewisse Ähnlichkeit zu einem wirklichen Sternbild aufweist.
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Bild 16: Die Hyaden mit Aldebaran auf der
Himmelsscheibe von Nebra. |
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Antwort:
Dieser Einwand ist berechtigt, und deshalb muß man auch überaus vorsichtig
sein mit einer eventuellen Zuordnung von Sternbildern zu den Objekten der Himmelsscheibe.
Doch es gibt durchaus weitere Hinweise, daß mit dieser Gruppe von Goldpunkten
tatsächlich jene Sterne, die wir heute als Kopf des Stiers kennen, gemeint
sein könnten. Insgesamt kann man vier Argumente anführen, daß
mit dieser Gruppe tatsächlich der Stierkopf bzw. die Hyaden mit Aldebaran
gemeint sein können:
- Erstens die charakterliche Ähnlichkeit.
- Zweitens befindet sich diese Gruppe südlich "gegenüber"
des Plejaden-Reigens, also in der richtigen Anordnung bzw. Reihenfolge, so wie
die Buchstabenfolge AN etwas anderes bedeutet wie NA,
- Drittens befinden sich Plejaden und Stierkopf in der richtigen Lage bzw.
Orientierung zueinander (die Lage/Orientierung der Plejaden erkennt man
am leicht nördlich (!) versetzten, inneren Stern; die Orientierung der Hyaden
am "liegenden V"), so wie die Buchstabenfolge AN etwas anders bedeutet
wie AZ (das Z ist ein gedrehtes N).
- Viertens ist diese Gruppierung auf der Himmelsscheibe von Nebra dadurch hervorgehoben
bzw. besonders ausgezeichnet, daß sie sich vollständig innerhalb des
unteren Goldbogens befindet.
Zudem hatte vor ca. 3.600 Jahren der Frühlingspunkt
das Goldene Tor der Ekliptik gerade so weit durchschritten, daß die Plejaden
bei ihrem sichtbaren Aufgang recht genau im Osten standen, und bei ihrem sichtbaren
Untergang entsprechend im Westen - und hierbei von den Hyaden (mit Aldebaran)
in ihrem jeweils späteren Auf- und Untergang verfolgt wurden (das ist heute
nicht mehr so). Dies war offenbar so auffällig, daß Aldebaran [arab.
"der (den Plejaden) Nachfolgende"] daher sogar seinen Namen hat. [Und
ich frage mich, ob die alte europäische Bezeichnung "Gluckhenne"
(für die Plejaden) nicht dem gleichen Gedankengang entspringt - im Sinne
von "die (den Hyaden/Küken) Vorangehende"].
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Bild 17: Schematische Darstellung
der Plejaden (oben rechts) und Hyaden. Zur Verdeutlichung der Größenverhältnisse
habe ich einen Mond, in seiner etwa verhältnismäßigen Größe
eingefügt. Die gestrichelte Linie entspricht (ca.) der Lage der Ekliptik. |
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Einwand:
Nun gut. Doch das Größenverhältnis von Plejaden zu Hyaden ist
in Wirklichkeit ein ganz anderes, als es auf der Himmelsscheibe von Nebra dargestellt
ist. Das "liegende V" wäre - im Verhältnis zu den Plejaden
- bei weitem zu klein dargestellt.
Antwort:
Das stimmt. Doch auch Helligkeitsunterschiede wurden bewußt ignoriert, wie
man besonders deutlich an der Darstellung der Plejaden erkennt. Somit kam es dem
Hersteller der Scheibe auf eine exakte, maßstabsgetreue Abbildung dieser
Sternbilder offenbar gar nicht an.
Der Charakter der beiden Sternansammlungen aber, sowie
ihre Orientierung zueinander, ist richtig getroffen. Apropos Charakter: Dieses
griechische Wort bedeutet neben "Eigenart" auch "(Schrift-) Zeichen".
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Bild 18: Zum richtigen Verständnis
verknüpfter Zeichen kommt es weder auf Größe, noch auf Exaktheit
an, sondern auf die ungefähre Eigenart und
die richtige Reihenfolge und die richtige Orientierung zueinander. |
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Wenn es sich nur um eine Abbildung von Sternen und Sternbildern handeln
würde, dann wären sie - aufgrund der sonstigen Genauigkeit der übrigen
Elemente der Scheibe - auch hier genauer. Es handelt sich also nicht um Abbildungen,
sondern um (Schrift-)Zeichen, die auf etwas anderes hindeuten, als auf sich selbst.
Diese Zeichen "beschreiben" die Scheibe, zeigen an, was sie bedeutet,
bzw.: was die Linien bedeuten. Diese Zeichen geben der Scheibe einen
Titel.
Ist diese Überlegung richtig, dann lautet der Titel der Himmelsscheibe
von Nebra (übersetzt in die Sprache heutiger Astronomen):
"Das goldene Tor der Ekliptik".
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Bild 19: Ein "sich bewegender"
Wandelstern? |
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Die Himmelsscheibe von Nebra enthält also Informationen
darüber, was sich auf der Ekliptik tut, mithin: Sie bietet eine Erklärung
für die Bewegungen der "Wandelsterne", d.h. der Planeten (sowie
der Sonne und des Mondes), der hellsten Objekte am Himmel, die im Gegensatz zu
den Sternen nicht "stillstehen", sondern sich mit merkwürdig schwankender
"Geschwindigkeit" entlang der Linie der Ekliptik bewegen.
Die Horizontbögen
Die beiden großen Bögen rechts und links der Scheibe (rechts mit
Goldauflage, links ohne) wurden bislang - keineswegs falsch - als Horizontbögen
interpretiert, und zwar aufgrund der Feststellung, daß die durch sie abgetragenen
Winkel sehr genau jenen Bereichen am prähistorischen Horizont entsprechen,
die die Sonne im Laufe eines Jahres in der nördlichen Breite des Fundorts
bei Auf- bzw. Untergang überstreicht. Außerdem sind die beiden Bögen
leicht nach oben versetzt sind, was den tatsächlichen Sichtverhältnissen
entspricht (vergl. Schlosser, in: DGH, S.44/46). Dies sei kurz erläutert:
Aufgrund der Refraktion (Lichtbrechung)
der Erdatmosphäre erscheint die Sonne bei ihrem Aufgang einem Beobachter
auf der Erde etwas früher, als sie ohne Atmosphäre erscheinen würde.
Weil die Sonne aber in unseren Breiten gewissermaßen "schräg"
bzw. "von links nach rechts" aufgeht (also unter dem Horizont weiter
nördlich steht), und die Atmosphäre uns die Sonne etwas früher
"zeigt", erscheint dem Beobachter auch ihre Aufgangsposition selbst
nach Norden versetzt. Dieselbe Erklärung gilt entsprechend auch für
den Sonnenuntergang, so daß uns sämtliche horizontnahen Sonnenpositionen
nach Norden versetzt erscheinen.
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Bild 20: Der beste Meßpunkt für
die Winkelspannen ist der im Vollkreis gelegene Schnittpunkt der Außenkreise
von Sichel und unterem Bogen.
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Der beste Meßpunkt zur Bestimmung der verschiedenen
Winkel zwischen den extremen Bögenenden ist der Schnittpunkt der
Außenkreise von Sichel und unterem Bogen (siehe Bild 20). Die Winkelspannen
betragen:
Ostspanne = Westspanne |
83 Grad |
Nordspanne |
95 Grad |
Südspanne |
99 Grad |
Diese Werte stimmen - nach den Tabellen von Burkhard Steinrücken (BST)
mit den Aufgangspositionen der Sonnenmitte überein, und
zwar für die fragliche Zeit vor 3.600 Jahren für einen Ort ca.
52,3 Grad nördlicher Breite. Das wäre - wenn man es so genau
nimmt - ein ganzes Grad (entsprechend 111 km) nördlicher als der Fundort
der Scheibe, z.B. etwas nördlich von Magdeburg.
Doch eine solch genaue Ortsangabe ist hier zunächst nicht gerechtfertigt.
Die jeweils beobachtbaren Winkel zwischen den Sonnenwenden sind nämlich sehr
stark von weiteren unbestimmten Größen abhängig. Liegt etwa -
ganz banal - in Blickrichtung des Sonnenaufgangs ein Berg, so findet der beobachtbare
Aufgang natürlich später statt, und entsprechend früher, wenn man
selbst auf einem Berg steht. Daher läßt sich zunächst glaubhaft
nur die allgemeine Aussage vertreten, daß es sich bei den äußeren
Bögen mit großer Wahrscheinlichkeit um die Horizontbögen handelt,
deren Begrenzungen die Sonnenwenden ungefähr in der Gegend des Fundorts
wiedergeben.
[Wolfhard Schlosser ist im wesentlichen zum gleichen
Ergebnis gekommen. Seine geringfügig anderen (großzügigeren) Meßergebnisse
sind wohl darauf zurückzuführen, daß er die Ausführung der
rechten oberen Bogenbegrenzung für eine Ungenauigkeit von Seiten der Hersteller
der Scheibe hielt. Vergl. im übrigen: Schlosser, in: DGH, S. 44f.)]
Die Aufgangsbereiche der Wandelsterne
Der Zweck der Horizontbögen geht aber über die Anzeige der nur zweimal
im Jahr auftretenden extremen Sonnenwenden hinaus: sie bezeichnen jene
Horizontbereiche, die die Ekliptik jeden Tag zweimal überstreicht.
Es handelt sich also um die ungefähren, möglichen Auf- und Untergangsbereiche
sämtlicher Planeten.
Möglicherweise sind deshalb die Eingänge mancher Kreisanlagen (wie
Goseck) zur Wintersonnenwende, manche andere dagegen (wie Stonehenge) zur Sommersonnenwende
ausgerichtet; mehr als eine solche Richtung braucht es jedenfalls nicht, wenn
man anschließend mit solch einer Scheibe arbeitet...
Der Planet Erde
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Bild 21: "Aufsicht". Der Blick
von der Erde zu den extremen Ekliptik-Positionen am Horizont. |
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Von den Linien, die durch die Begrenzungen der Horizontbögen definiert
werden, stechen insbesondere die vier in den Mittelpunkt des Vollkreises weisenden
Linien auf. Es scheint so, als ob man von dort zum Horizont blickt. Aus diesem
Gedanken folgt, daß der Vollkreis die Erde darstellt, in
deren Mittelpunkt sich der Standort des Beobachters befindet.
Somit wäre hier einer Art "Aufsicht" der Blick zu den Extremen
der Horizontbögen dargestellt: In dieser Perspektive ist Osten auf der Seite
des goldenen Horizontbogens, im Bild also rechts, und entsprechend Westen links
(wie auf einer gewöhnlichen Landkarte).
Die gemessenen Winkelspannen der Horizontbögen-Enden (gemäß
Bild 20) werden von dieser Sichtweise nicht betroffen. Sie sind in Bogenmaß
zu messen, also entsprechend ihrer eigenen Krümmung (man kannte noch kein
"Geodreieck"). [Bezüglich der Horizontbögen stellt also die
gesamte Scheibe ebenfalls die Erde dar.]
Die Linie, die den Blick in Richtung östlicher Wintersonnenwende markiert,
tangiert die untere Spitze der Sichel (siehe den Pfeil im Bild 21). Die Sichel
"sieht" man hierbei beim Blick in Richtung östlicher Wintersonnenwende...
Der Blick zur Wintersonnenwende
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Bild 22: "Seitenansicht".
Der Blick von der Oberfläche der runden Erde zum Horizont sowie in Richtung
Sichel.
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In einer Art "Seitenansicht" der Erde ist zugleich derselbe Standort
in anderer Perspektive dargestellt. Von dort aus ist einerseits der Blick
zum Horizont, andererseits der Blick in Richtung Sichel (durch die Orientierung
der Sichel: Linie j) dargestellt.
Die "Aufsicht" und "Seitenansicht" lassen sich vereinbaren,
indem man den Vollkreis als Kugel auffasst: Die Erde ist ein Planet, und bewegt
sich ebenso wie die übrigen Planeten durch das "Goldene Tor der Ekliptik".
Im Zentrum dieser Bewegung steht die Sonne, und deren Aufgang zur Wintersonnenwende
ist in dieser doppelten Perspektive mit der Sichel dargestellt ist. Die
Sichel stellt also die Sonne dar, die hinter einer (gedachten)
kugelförmigen Erde aufgeht (der Innenkreis der Sichel stellt also ebenfalls
die Erde dar).
Die Verbindungslinie der Mittelpunkte von Vollkreis und Sichel (bzw. von Erde
und Sonne) würde also (in dieser Perspektive) die Ekliptik darstellen (Man
mag sich das wie eine Seitenansicht des Sonnensystems vorstellen, vor dem Hintergrund
des "Goldenen Tores der Ekliptik").
Die lunare Bedeutung der Horizontbögen
Gemäß der Überlegungen zu den Mondwenden von Norbert
Gasch (vergl. )
scheint scheint hier noch eine andere Deutung möglich. Gasch
macht nämlich darauf aufmerksam, daß die Winkel der beiden
Horizontbögen, vom Mittelpunkt des Vollkreises aus gemessen,
mit (nach seiner Messung) 66 und 109 Grad recht genau den Winkeln
zwischen den großen und kleinen Mondwendepaaren in Norddeutschland
entsprechen. Er vermutet daher, daß die Himmelsscheibe als
eine Darstellung mondbezogener Auf- und Untergangspositionengedient
haben könnte.
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Bild 22a: Die rechte, obere Begrenzung ist
(hier) als Sekante wahrzunehmen. Begründung s.o. |
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Diese Vermutung (zu den Mondwenden) könnte als Erweiterung meiner Interpretationen
gelten. Die von Gasch gemessenen Winkel sind jedoch gemäß
der tatsächlichen Lage der Linien, insbesondere der
Linie h, die hier als Sekante zu messen ist (zur genauen
Begründung vergl. Bild 5 oben), meines
Erachtens zu korrigieren: sie betragen richtig ca. 65 Grad und ca.
108,5 Grad. Diese etwas kleineren Winkel entsprechen den tatsächlich
sichtbaren Winkeln zwischen den Mondwendenpaaren vor 3.600 Jahren
auf einer geographischen Breite von ca. 52,3 Grad (wenn man die
Mondmitte als Bezugspunkt wählt).
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Bild 22b: Die Winkel der
Randbögen vom Mittelpunkt des Vollkreises aus gemessen stimmen mit den Winkeln
zwischen den großen und kleinen Mondwendepaaren in Norddeutschland überein.
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Sind diese Überlegungen richtig, dann dann bedeutet das, daß
die beiden Randbögen auf der Himmelsscheibe von Nebra sowohl
in solarer wie in lunarer Hinsicht auf dieselbe geographische Breite
von ca. 52,3 Grad hinweisen würden.
Somit wäre die solare Interpretation der Horizontbögen (vergl. Bild
20) nicht etwa hinfällig, sondern würde nur erweitert. Die Randbögen
wären gewissermaßen "multifunktional": beide Sichtweisen
würden zu einem Beobachter-Standort in einer geographischen Breite von ca.
52,3 Grad führen, und würden sich somit gegenseitig bestätigen.
Es würde sich somit eine offenkundige doppelte Bedeutung der Randbögen
ergeben. Für den "Blick" vom Mittelpunkt des Vollkreises auf die
Randbögenenden sticht nun die lunare Sichtweise besonders hervor. Es bietet
es sich in dieser Hinsicht nun geradezu von selbst an, den Mittelpunkt des Vollkreis
als Beobachterstandort zu begreifen. Der Sprung zur Vorstellung, der Vollkreis
stelle die Erde dar, ist nicht mehr so groß.
Die Sichel, die aufgrund der Berührung der unteren Spitze
mit diesen Sichtlinien im Zusammenhang steht, würde in dieser Hinsicht
also den Mond bedeuten. Dies ist zunächst auch viel leichter nachvollziehbar,
als meine obige, erste Erklärung der Sichel als aufgehende Sonne.
Trotzdem würde ich nicht sogleich jene erste Erklärung verwerfen
wollen, denn ebenso wie die Randbögen offenbar verschiedene Bedeutungen besitzen
(solar/lunar), kann dies auch für die Sichel gelten. Solches Zulassen einer
Mehrdeutigkeit bedeutet durchaus keine Beliebigkeit der Interpretation: Sämtliche
Blickwinkel und Bedeutungen vereinen sich nämlich in einen einzigen Gesamtzusammenhang:
der kosmologischen Erklärung der Vorgänge auf der Ekliptik.
Das heliozentrische Weltbild
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[Mit freundlicher Genehmigung von George Saliba]
Bild 23: Kopernikus (dessen Darstellung links) kannte offenbar
die Schriften von at-Tusi (rechts).
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Der Umkreis des unteren Goldbogens stellt ein ähnliches Abbild dar, wie
das sogen. "Tusi-Paar", mit dem man lineare Hin- und
Her-Bewegungen, wie sie die Planeten auf der Ekliptik vollführen, auf Kreisbewegungen
zurückführen kann. Vereinfacht dargestellt, "rollt" in der
Vorstellung des Tusi-Paares ein kleiner Kreis in einem größeren mit
genau doppeltem Durchmesser (genaueres hier).
Dieser Gedankengang geht auf den Astronomen Nasir ad-Din at-Tusi
(1201-1274) entwickelt, und wurde offenbar von Kopernikus im
16. Jahrhundert zur Erklärung der Merkurbewegung herangezogen, um damit seine
Argumentationen zum heliozentrischen Weltbild zu stützen (vergl. Saliba:
WPK).
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Bild 24: Bildliche Darstellung der Vereinigung
kreisförmiger und linearer Bewegungen.
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Die Ähnlichkeit der Darstellung auf der Scheibe mit
jener von Kopernikus (und at-Tusi) ist derart frappierend, daß es kaum zu
ignorieren ist. Meiner Ansicht nach beruht die Ähnlichkeit der Darstellung
mit dem Tusi-Paar durchaus nicht auf dem gleichen mechanischen Gedankengang. Wohl
aber meine ich, daß eine ähnliche kosmologische Vorstellung, nämlich
daß die Planeten - und auch die Erde - sich kreisförmig um die Sonne
bewegen, letztlich diese Ähnlichkeit im Erscheinungsbild hervorgerufen hat.
Dazu stellten sich die Menschen der Bronzezeit den unteren Bogen wohl kaum als
rotierend vor, sondern sie drehten einfach die ganze Scheibe (oder die mittels
eines Fadens gespannte Linie der Ekliptik), was im Ergebnis auf dasselbe hinausläuft.
Winkelschläge
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Bild 25: "Seitenansicht".
Der Blick von der Oberfläche der runden Erde zum Horizont sowie in Richtung
Sichel.
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Die hier (in Bild 24/25) dargestellte Ekliptik bildet eine Parallele zu der
einzigen (!) Markierung auf der Rückseite der Scheibe, geht
durch den Mittelpunkt des Vollkreises (als der Erde), und tangiert den Außenkreis
des unteren Bogens im bestem Meßpunkt für die Winkel der Horizontbögen
(vergl. Bild 20). Zudem bildet diese Linie zur Blickrichtung zur Sichel einen
Winkel von 24 Grad, was der tatsächlichen Schiefe
der Ekliptik vor 3.600 Jahren sehr genau entspricht.
Somit ist auf der Himmelsscheibe von Nebra ebenfalls eine Parallele zum Äquator,
sowie eine Parallele zur Erdachse dargestellt. Die nördliche Breite, die
man für den Standort für die Blickrichtung zur Sichel (siehe Pfeil)
am Vollkreis messen kann, beträgt 52,5 Grad, was erstaunlich
genau den über die Horizontbögen ermittelten 52,3 Grad nördlicher
Breite entspricht.
Der entsprechende Sekantenabschnitt am Vollkreis wäre somit ein von der
Seite betrachteter Breitenkreis, auf dem der Standort zur Blickrichtung zur Sichel
liegt.
Der lunare Horizontbogen
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Bild 26: "Seitenansicht
II ". Der Blick von der Oberfläche der runden Erde zum lunaren
(?) Horizont sowie in Richtung Sichel.
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Von der "gegenüber" liegenden Seite der Erde, auf dem gleichen
Breitenkreis, kann man ebenfalls die Sichel sehen. Doch dieser "Blick"
steht nicht mit den solaren Horizontbögen in Verbindung, sondern mit dem
unteren Bogen.
[Die zunächst als rein "solare" Horizontbögen,
nämlich die Randbögen links und rechts der Scheibe, haben
möglicherweise zugleich eine "lunare" Bedeutung.
Vergl. Bild 22a und b sowie den Nachtrag
unter Bild 28]
Ein Lösungsansatz scheint folgender Gedankengang zu sein: In dieser Perspektive
ist mit der Sichel nicht mehr die Sonne, sondern - zumal wir uns nun auf der "anderen"
Seite der Erde befinden - der Mond gemeint, und zwar nicht eine bestimmte Mondphase,
sondern der Mond in seiner Sichtbarkeit an sich. Der untere Goldbogen wäre
somit ebenfalls eine Art Horizontbogen, nun aber für die Sichtbarkeit des
Mondes.
Die Bronzesicheln
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Bild 27: Bronzesicheln
(vergl. auch hier,
und hier)
weisen sehr häufig eine durchgehende, doppelte Linierung auf.
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Der Zusammenhang mit dem Mond ergibt sich daraus, daß der untere Goldbogen
mit seiner durchgehenden, doppelten Linierung die größte Ähnlichkeit
mit den Bronzesicheln aufweist, auf denen eine eben solche doppelte Linierung
sehr häufig vorkommt. Strichförmige Markierungen ("Sichelmarken")
auf den Bronzesicheln, die wahrscheinlich eine Zählung von 0 bis 29 darstellen
(entsprechend den Tagen einer Lunation),
deuten einen Bezug dieser Bronzesicheln zum Mond an (vergl. Sommerfeld, in: DGH,
S.118-123).
Die Bronzesicheln treten zwar erst etwa gegen 1.200 v.Chr. verstärkt auf,
also etwa 400 Jahre nach der Datierung der Niederlegung der Himmelsscheibe von
Nebra. Es scheint aber denkbar, daß diese doppelte Linierung bereits zur
Zeit der Himmelsscheibe als Zeichen für die Veränderlichkeit der Mondphasen
und somit für den Mond verstanden wurde. [Das ist natürlich spekulativ.
Doch erscheint mir diese Spekulation glaubwürdiger als der Vergleich der
doppelten Linierung mit "Schiffsplanken" einer "Sonnenbarke".]
Ein offenes Rätsel
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Bild 28: Bedeutet der untere Goldbogen eine
Art "lunarer" Horizontbogen...?
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Unter diesem Gedankengang könnte es sich bei dem unteren Goldbogen auf
der Himmelsscheibe von Nebra um eine Art "lunaren" Horizontbogen handeln,
der möglicherweise die extreme Sichtbarkeit des Mondes in Süd-Richtung
anzeigt.
Bemerkenswert ist hierbei, daß auch Burkard Steinrücken
mit seiner Dynamischen Interpretation den unteren Goldbogen
aufgrund ganz anderer Überlegungen auf gleiche Weise mit dem
Mond assoziiert. «Die Sektorgrenzen des Schiffes [gemeint
sind die Bogenenden des unteren Goldbogen, d.V.]
zeichnen dabei die Diagonalen der großen Mondwenderichtungen
in die Scheibe (für die geographische Breite von Sachsen-Anhalt).»
(Steinrücken: BSDI, S.3). Weil auf der Scheibe nichts rollt,
halte ich seine Interpretation zwar für interessant, insgesamt
aber für abwegig, und zu stark idealisiert. Doch diverse Überlegungen
wie der hier angesprochene Ansatz könnten in die richtige Richtung
zu gehen, und helfen, dieses Rätsel zu lösen...
Bedeutung der übrigen Elemente der Scheibe
Auch die Randlöcher der Scheibe haben übrigens einen
vernünftigen Zweck: sie dienen zum einen der Orientierung in der Art einer
Grad-Einteilung, zum anderen als Marken oder Visierpunkte von Linien, und wohl
auch als Befestigungsmöglichkeit für Fäden, die man zur Verdeutlichung
der Linien über die Scheibe gespannt hat.
Den Goldpunkten kommt wohl ebenfalls eine solche Mehrfachfunktion
zu: als charakterliche Darstellung bestimmter Sternbilder, als Visierhilfe für
verschiedene Blickrichtungen und/oder tangentiale Anlegemöglichkeit für
Fäden zur Sichtbarmachtung diverser Linien, wobei offenbar eine Tarnung der
Darstellung als Sternenhimmel ebenfalls beachtet wurde.
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Bild 29: Die vermutlich "richtige"'
bzw. "'ursprüngliche" Orientierung der Scheibe. Achtung:
Angaben wie "rechts", "links", "oben", "unten"
im Text beziehen sich nicht auf diese, sondern auf die ansonsten übliche
Darstellung der Scheibe (wie etwa im vorhergehenden Bild 28)!
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Die offensichtlich aus prähistorischer Zeit stammenden
Abnützungserscheinungen am linken Rand der Scheibe deuten
meiner Ansicht nach darauf hin, daß auf dieser (westlichen) Seite "unten"
war. Auf dieser Seite ist die Scheibe offenbar immer wieder auf- oder hingestellt
worden, vielleicht während das auf der Scheibe integrierte Geheimwissen von
Lehrern (sagen wir: "Meister-Druiden") an ihre Schüler in vorzeitlichen
"Universitäten" (Kreisanlagen wie Goseck, Stonehenge) weitergegeben
wurde.
Die Deformationen am Scheibenrand
Die Deformationen am Scheibenrand kommen ausschließlich eben auf jener
schon in prähistorischer Zeit in Mitleidenschaft gezogenen Seite vor. Weil
diese Deformationen zum Teil in einem deutlichen Zusammenhang mit Visierlinien
der Scheibe stehen (vergl. Bild 8), halte ich die Annahme für berechtigt,
daß nicht alle diese Deformationen durch die Raubgräber verursacht
worden sind, zumal weder blankes Metall zu sehen ist (vergl. Wunderlich: RG),
noch die Deformationen so aussehen, als könnten sie von dem benutzten Zimmermannshammer
herrühren (siehe den Kommentar: Die "brachiale"
Fundgeschichte).
Statt dessen könnten einige der randlichen Deformationen bereits in prähistorischer
Zeit vorsätzlich als Markierungen oder Visierhilfen angebracht worden sind,
entweder bereits im Zuge der Herstellung der Scheibe, oder - wahrscheinlicher
- zu einem späteren Zeitpunkt. Ein solches späteres Anbringen zusätzlicher
Markierungen könnte z.B. nötig geworden sein, nachdem der linke Scheibenrand
bis zur "Ausfransung" der Randlöcher abgenützt war, und man
die zweckmäßige Benutzung der Scheibe noch retten wollte...
Eine solche nachträgliche Korrektur in prähistorischer Zeit, zu einem
Zeitpunkt, als die Scheibe nach jahrzehntelanger Benützung bereits Korrosion
angesetzt hatte, könnte möglicherweise auch die gedehnte Struktur der
Korrosion nahe der Deformationen erklären, die die Wissenschaftler u.a. veranlaßten,
die "Beschädigungen" der Scheibe vor allem den Findern anzulasten.
Die Bestattung der Scheibe...
Trotzdem könnten einige Kratzer, auch am Rand, tatsächlich von den
Raubgräbern stammen, und die von den Wissenschaftlern aufgrund der Kratzer
(sowie aufgrund der Aussagen der Finder) erschlossene Positionierung der
Scheibe im Depot (mit der angeblichen "Sonnenbarke" unten)
halte ich für korrekt: Die Scheibe wurde gewissermaßen "liegend
bestattet", mit dem "Kopf" (bzw. "oben"
in ursprünglicher Orientierung) in Richtung Osten weisend, das "Gesicht"
(bzw. die Vorderseite der Scheibe) nach Süden gewendet. Auf
eben diese Weise bestattete die damalige Kultur ihre Toten. Und damit
stellt sich die Frage nach dem Grund der "Bestattung" der "toten"
Scheibe.
Die beste Erklärung dafür scheint mir zu sein, daß die Scheibe
aufgrund des Fortschreitens des Frühlingspunktes
- er entfernte sich wegen der Präzession
der Erde immer mehr vom Goldenen Tor der Ekliptik - unbrauchbar geworden ist,
daher für "tot" gehalten oder erklärt wurde, und
aufgrund ihres langjährigen Nutzens gewissermaßen "ehrenvoll
begraben" wurde.
...oder ein Gruß aus der Vergangenheit?
Doch ich will noch einen anderen Gedanken erwähnen: Die Scheibe von Nebra
wurde vielleicht deponiert, um vorsätzlich astronomische Kenntnisse zu überliefern
- praktischerweise durch eine vielleicht durch Abnützung unbrauchbar gewordenen
Scheibe. Sei es, um diese Kenntnisse für die eigene Kultur zu bewahren, sei
es, um einer fernen und unbekannten Kultur einen Einblick in das tiefe kosmologische
Wissen zu geben, auf dessen Besonderheit die Vergrabenden vielleicht stolz waren.
Dinge und Wissen überliefern zu wollen, entspricht durchaus der menschlichen
Eitelkeit, und auch wenn die Kultur damals eine andere war, handelte es sich doch
um den bereits voll entwickelten homo sapiens, mit allen Stärken und Schwächen.
Auch wir pflegen bei Grundsteinlegungen besonderer Gebäude Banales und Spezielles
aus unserer Zeit einzumauern: vernünftig kann man so etwas nicht gerade nennen.
Und den ersten von Menschen geschaffenen Raumsonden, die das Sonnensystem verlassen
sollten, hatte man eine Plakette aus Gold (die "Pioneer-Plakette") mit
einem Gruß an Außerirdische angebracht, obwohl die Wahrscheinlichkeit,
daß dieser Gruß jemals auf einen Empfänger trifft, gleich Null
ist.
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Bild 30: Die "Sounds of Earth".
Diese vergoldete (!) Kupferscheibe (!) mit einem Durchmesser von ca. 30,5 cm (!)
befindet sich an Bord der beiden interstellaren Raumsonden Voyager 1 und Voyager
2.
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Das hier angedeutete Motiv des Vergrabens der Scheibe
zum Zweck der bewußten Überlieferung mag zwar falsch sein, aber ich
bringe es bewußt als weitere Gegenthese zu dem üblichen "Opfer
an die Götter"-Gedanken, der mir allzu einfach erscheint.
Ist die Himmelsscheibe eine Fälschung?
Es ist natürlich geradezu ein Witz (und eine Steilvorlage für Erich
von Däniken), daß die Grußbotschaft "Sounds of Earth",
die man den späteren Raumsonden Voager 1 und 2 mitgegeben hat, in Material
und Größe mit der Himmelsscheibe von Nebra übereinstimmt. Sogar
das Bildmotiv ist nicht völlig unähnlich; und das wirft natürlich
sofort die Frage auf, ob sich hier nicht irgendein dreister Fälscher seine
Inspiration geholt hat!
Die naturwissenschaftlichen Untersuchungen haben zwar ergeben, daß die
Scheibe "echt" ist in dem Sinne, daß sie ein prähistorisches
Objekt aus der Bronzezeit vor 3.600 Jahren ist. Doch natürlich könnte
diese wissenschaftliche Beurteilung falsch sein.
Wer jedoch die "Echtheit"' der Scheibe nun - nach der Entdeckung
des geometrischen Beziehungsgeflechts - noch bezweifelt, müßte - um
glaubwürdig zu sein - zunächst einen plausiblen Grund vorlegen, wieso
der (angebliche) Fälscher sich die Mühe gemacht hat, ein derart komplexes
Liniengeflecht zu erfinden und derart aufwendig und exakt auf der Scheibe anzubringen,
ohne davon - etwa um den Preis zu steigern - die geringste Mitteilung oder auch
nur Andeutung zu machen...
Fazit
Ob meine Interpretation der Himmelsscheibe von Nebra hier richtig ist oder
nicht, weiß ich nicht. Weil sie alle Elemente der Scheibe in einen einzigen
Zusammenhang zu bringen in der Lage ist, also in sich schlüssig
ist, halte ich sie für recht gelungen.
Die von mir dargestellten Winkel, sowie die Positionen der Randdeformationen
könnten Zufall sein. Das dreieckige Randloch, sowie die rückwärtige
Markierung haben meiner Meinung nach aufgrund ihrer herausragenden Stellung gewiß
eine Bedeutung, doch vielleicht stellen sie nicht die Linien dar, die ich angenommen
habe. Das geometrische Kern-Beziehungsgeflecht, wie in Bild 3
dargestellt, scheint mir jedoch nachvollziehbar vorsätzlich so und nicht
anders angebracht worden zu sein.
Mir scheint, daß diese Linien nicht nur Information enthalten, sondern
auch auf recht intelligente Weise getarnt sind, nämlich so, daß ein
verständiger Betrachter die Tarnung zu durchschauen vermag (vergl. meine
Argumentation zum Raffinement der Darstellung). Ich
wüßte nicht, wie man Tarnung, Information und Meta-Information geschickter
miteinander verbinden könnte.
Dieses Moment der Tarnung gilt meiner Meinung nach für die gesamte Darstellung:
Ein Nicht-Eingeweihter oder unverständiger Betrachter soll hier Sonne,
Mond und Sterne, oder etwas ähnliches, erkennen, sonst hätte man
die Linien auch gleich ganz einritzen können. Das einzige auffällige
Element der Scheibe, das ich im Rahmen meiner Interpretation nicht deuten konnte,
nämlich die "Fiederung" des unteren Goldbogens, stellt vielleicht
ebenfalls eine Tarnung dar. Diese Tarnung könnte darauf hindeuten, daß
es sich hier um eine Art Geheimwissen handelt, das nur bestimmten Kreisen zugänglich
war...
Die Wissenschaften der Archäologie und Astronomie, sowie deren Verbindung
als Archäoastronomie, haben sich in letzter Zeit bereits erheblich dahingehend
geöffnet, daß in Mitteleuropa bereits in der frühen Bronzezeit
umfangreiche astronomische Kenntnisse vorhanden waren. Doch mir scheint, daß
man hier noch bedeutend weiter gehen muß. Dabei geht es
nicht darum, ob irgendwelche "Kenntnisse" vorhanden waren oder nicht,
sondern darum, den europäischen Menschen der Bronzezeit endlich
eine Intelligenz zuzutrauen, die einem homo sapiens würdig ist.
Eine Herausforderung
Man mag man einzelne Argumente genauer prüfen. Meine Identifizierung der
funf Goldpunkte im unteren Goldbogen etwa als den "Kopf des Stiers"
(bzw. als Hyaden mit Aldebaran) halte ich für einen sehr gelungenen Vorschlag
(zumal durch diese Identifizierung auch die Glaubwürdigkeit zunimmt, daß
es sich bei der Siebenergruppe tatsächlich um die Plejaden handelt); meine
Argumente sind: 1. eine Ähnlichkeit ist vorhanden, 2. die Anordnung und 3.
die Orientierung bezüglich der Plejaden stimmt, sowie 4. die Punkte sind
nicht irgendwelche, sondern solche an exponierter Stelle, und nicht zuletzt 5.
"passt" es in den Gesamtkontext.
Diese Argumentation ist gewiß nicht schlecht, aber durchaus angreifbar:
die Ähnlichkeit ist nämlich nur ungefähr, und nicht übermäßig
groß. Das fordert heraus, das exakte Aussehen dieses Sternbilds vor 3.600
Jahren zu prüfen, das sich ja durch Sternbewegungen verändert haben
kann. Das Ergebnis könnte sein, daß die Ähnlichkeit mit den besagten
Goldpunkten geringer war, was meine Thesen schwächen würden; das Ergebnis
könnte aber auch sein, daß die Ähnlichkeit größer war,
und das würde meine Thesen erheblich stärken...
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